UdZPraxis 1-2016
18 UdZ Praxis Das von Ihnen Gesagte würde ja bedingen, dass die diversen Expertengruppen dem Thema der ethischen Rahmenbedingungen und mögli- chen positiven wie negativen Folgen gegenüber hinreichend sensibilisiert sind. In der Öffentlich- keit thematisiert wird das allerdings recht we- nig. Vor allem gibt es in der Öffentlichkeit, z. B. in den großen Medien, wenige Plattformen, auf denen sich Vertreter aller Richtungen intensiv zu diesem Thema austauschen. Ab und zu gibt es Veranstaltungen, bei denen dann häufig eine massive Lagerbildung erkennbar ist: Gern erlebt man dann einen glühenden Befürworter der di- gitalen Entwicklung, der sowohl für die Industrie als auch für das gesellschaftliche Zusammenle- ben ausschließlich Verbesserungen erwartet und dann gern kritischere Überlegungen vom Tisch gewischt werden, als auch auf der Gegenseite Vertreter, die zwar kritischer und allumfassender hinschauen, aber gern fast schon an Untergangs- propheten erinnern, Potenziale fast vollständig ausblenden und so den Vorwurf der anderen als „Miesmacher“ bestätigen. Täuscht der Eindruck, dass beide Extrempositionen schwer zusammen- zubringen und Polarisierungen kaum aufzulösen sind?Gibt eswirklich sowenige allseits anerkann- te Experten, die Positives und Negatives gleicher- maßen in den Fokus rücken und berücksichtigen und dann weiterdenken? Ist man da vielleicht zu sehr in seinem eigenen Fach verhaftet? Und falls Sie dem zustimmen: Woran liegt es, dass es so schwerzufallen scheint, den Blickwinkel zu erwei- tern und auch den eigenen Schwerpunkt einmal gedanklich zu verlassen, um sich in der Mitte zu finden und dann gemeinsam mit einer breiteren Sichtweiseeinevielleicht umfassendere undmehr vorausgedachte Entwicklung voranzubringen? A. Mertens: Ich stimme Ihnen grundsätzlich zu. Ich glau- be, dass es allgemein in der Gesellschaft Wenige gibt, die hier bisher ein gesundes Mittelmaß gefunden haben, die sich der Probleme bewusst werden und sich den Gege- benheiten anpassen. Viele Menschen ignorieren z. B. bei der Nutzung Sozialer Netzwerke die eventuellen negati- ven Folgen völlig, beispielsweise bei öffentlichen Profilen mit privaten Fotos, andere vermeiden im Gegenteil grund- sätzlich rigoros die Teilhabe am digitalen sozialen Leben. Es sind auch häufig Zuspitzungen erkennbar; die, die Geld damit verdienen, betonen das Positive, die, die es nutzen, aber Problembewusstsein haben, überbetonen gern die Herausforderungen. Öffentlich wird dieses Thema eigent- lich nur diskutiert, wenn es zu einem Datenskandal gekom- men ist. Insgesamt werden aus diesen Fehlern zu wenige Konsequenzen gezogen. Ich bin der Meinung, dass die re- gulierenden Institutionen in Deutschland sich der Proble- me bewusst sind, aber manchmal zu langsam regulierend eingreifen, statt vorausschauend Vorkehrungen zu treffen. Neuerungen und Entwicklungen werden en passant zur Kenntnis genommen und erst, wenn sie dann eine gewisse Bedeutung erlangt haben, wird sich mit dem Thema ak- tiv auseinandergesetzt. Etwas proaktiveres Handeln wäre wünschenswert, ist aber auch schwer umzusetzen, da Ge- setzgebung ein äußerst komplexer Prozess ist. Die Gründe dafür liegen sicher einerseits in einem kommerziellen Inte- resse, indem teilweise ganzeWirtschaftszweige von diesen Daten profitieren und so auch davon abhängen; da können Regulierungen teils existenziell bedrohlich werden. An- dererseits gibt es viele Expertenmeinungen, was alles an potenziellen Problemen auftreten kann. Diese sind jedoch häufig wahrscheinlichkeitsabhängig und so schwer als Be- urteilungsgrundlage für die Zukunft tauglich. – Die Bürger wiederum geben häufig entweder aufgrund einer gewissen Trägheit oder aufgrund von Zeitmangel ihre Daten recht unreflektiert her und haben teil an den Möglichkeiten oder nutzen andererseits manche Dienste einfach gar nicht, weil sie ihnen nicht trauen. Sich als begeisterter Nutzer näher mit den Risiken zu befassen, kann aber auch an einer Form von Selbstschutz scheitern, weil das Interagieren in Sozi- alen Netzwerken vielfach ein so starker Bestandteil des persönlichen Lebens geworden ist, dass es nahezu zu einer Art Entzug führen könnte, wenn man aufgrund bestimm- ter Risiken Nutzungsweise oder -intensität anpassen und reduzieren müsste. Aus Sorge darum befasst man sich lie- ber gar nicht näher mit dem kritischen Kontext. Ihre Antwort bestätigt ja, dass also die Sensibili- tät bei den Experten für die jeweiligen Chancen und Risiken gebraucht wird, weil das vom Einzel- nen als Endnutzer nicht in Gänze verlangt wer- den kann. Das würde aber auch bedeuten, dass die beiden oben genannten Lager zusammen- wachsenmüssen, um in Zukunft bei Entwicklun- gen, die vielleicht am Ende nur einer Gruppe der Gesellschaft nutzen und einer anderen schaden (z. B. imHinblick auf Rabatte bei Krankenkassen und Versicherungen gegen Datenfreigabe bzw. Diskriminierungen derer, die ihre Daten nicht preisgeben wollen), rechtzeitig mögliche negati- ve Folgen zu erkennen und zu vermeiden, damit nicht schwerfällig und zeitaufwendig juristisch
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