UdZPraxis 1-2016

19 UdZ Praxis und/oder politisch nachgesteuert werden muss, was in der Lebenswirklichkeit schon Eigendyna- mik gewonnen hat und wo es schon ökonomi- sche Abhängigkeiten gibt. DieThese lautet, dass wir noch nie zuvor eine derartige technologische Revolution erlebt haben wie jetzt. Die industriel- le Revolution fand noch in einem abgezirkelten Bereich statt, dereingeschränktedirekteAuswir- kungen auf die tägliche Lebenswirklichkeit der Menschen hatte. Noch nie hat aber eine techni- sche Entwicklung so stark sowohl in Arbeits- als auch ins Privatleben der Menschen hinein Wir- kung entfaltet, wie das jetzt der Fall ist. Konzen- triert weitergedachte digitale Gesellschaft hat ja Folgen in sämtliche Lebensbereiche hinein, ge- sundheitlich, pädagogisch, politisch etc. Und das beinhaltet Risiken genauso wie gewaltige Chan- cen, da hat utopisches wie dystopisches Vorstel- lungsvermögen in Grenzen seine Berechtigung. Das komplette Verhaftetbleiben in tradierten Denkmustern, wie oben beschrieben, oder auch in inhaltlichen Kontexten, je nach Arbeitsbe- reich, ist also auch und gerade bei denjenigen, die diese Entwicklungen vorantreiben, nicht allzeit wünschenswert und müsste mehr und öfter in- terdisziplinär aufgebrochen werden, wenn ich Sie richtig verstehe. Ist es das, worum es hier geht? A. Mertens: Ja, die von Ihnen geschilderte integrierte For- schung und Arbeit müssen weiter vorangetrieben werden. Viele haben das auch schon verstanden. Der Bund fördert bereits Projekte, auch bei uns im Institut, mit interdiszip- linärem Forschungshintergrund auch in diesem Thema. Ethische und rechtliche Aspekte sind hier besonders wich- tig, neben den üblicherweise im Fokus stehenden techni- schen Fragestellungen. Die Aachener DenkfabrEthik, ohne profitorientierten Hintergrund oder Berührungsängste, also ohne Scheuklappen in alle Richtungen, kann einen Weg bieten, um diesen Themen eine neutrale Plattform zu bieten und diesen Diskurs zu fördern. Ich gebe ihnen völlig Recht, es muss darauf hinauslaufen, dass bei neu- en Entwicklungen von Produkten und Dienstleistungen etwas mehr die möglichen ethischen Konsequenzen mit berücksichtigt werden. Es geht hier nicht mehr um reine Fragen der Ingenieurswissenschaften oder Elektrotechnik, um effektive und effiziente Funktionen etc. Es hat lange gedauert, bis man von der reinenTechniksicht z. B. die Ge- brauchstauglichkeit einbezogen hat oder als Entwickler auch die Menschensicht oder Nutzersicht gleichzeitig im Fokus hatte. Mittlerweile ist es Standard, bestimmte Usa- bility- oder Sicherheitsaspekte früh mit zu bedenken. So- wohl ethische als auch soziale Aspekte spielen also schon heute eine große Rolle und fließen mit in den Entwick- lungszyklus ein, beispielsweise, wie heute ein System ge- baut sein muss, das Menschen nicht gefährdet.Wenn man das konsequent weiterführen würde, würden beide Seiten profitieren, da Produkte entstehen, die den gesamtgesell- schaftlichen Kontext von Beginn an mit einbeziehen. Die- ser Prozess beansprucht eine gewisse Zeit, da er mit vielen Investitionen verbunden ist, die sich für Firmen nicht direkt rechnen. Denn wenn man über Jahre so gearbeitet hat und auch Erfolg damit hatte, ist der „Leidensdruck“ nicht groß genug, um es anders zu machen. Am Ende würden aber alle Seiten von solch einem Vorgehen profitieren. Meiner Einschätzung nach wird es mehr und mehr dazu kommen, braucht aber seine Zeit. Vorschläge dieser Art werden gern abgewehrt und es wird weiter darauf verwiesen, dass es da- für andere Bereiche, Zuständigkeiten, Berufs- gruppen gäbe. Ich nehme aber auch wie Sie an, dass es durch die enorm großen Veränderungen, die uns bevorstehen, über kurz oder lang so kom- men muss, dass der ethische Kontext früher und stärker von den Entwicklern selbst stärker fokus- siert werden muss. Momentan ist ja eine Phase der stärkeren Berücksichtigung solcher „weichen Faktoren“ in der öffentlichen Wahrnehmung spürbar; ethische, soziale und ökologische Ver- antwortung sind keine Nischenthemen mehr. Oder handelt es sich um eine Zeitgeistfrage, ein Modethema, das wieder im Sande verläuft?Wie schätzen Sie das imHinblick auf zukünftige Ent- wicklungen ein? A. Mertens: Als gelernter Informatiker kann ich da auch aus eigener Erfahrung sprechen: Aus Entwicklersicht mussten früher die technischen Dinge einfach funkti- onieren. Heute zeichnet sich eine gute Software nicht nur durch einen guten Code aus, sondern auch durch gute Dokumentation und weiche Faktoren wie Benut- zerfreundlichkeit oder Fehlerrobustheit. Alleinstellungs- merkmale sind oftmals nicht mehr nur durch technische Entwicklungen abzudecken. Diese Annahme ist auch auf Arbeitsfelder der Ingenieure oder Elektrotechniker über- tragbar. Wenn es soweit ist, dann entsteht ein Markt- druck, bei dem sich Kunden für Produkte entscheiden, bei denen ethische, soziale oder auch ökologische As- pekte eine Rolle spielen.

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