UdZPraxis 1/2020

64 UdZ Praxis | Gastbeitrag Vielleicht werden wir uns sogar wundern , dass Trump im November abgewählt wird. Die AFD zeigt ernsthafte „Zerfransens-Erscheinungen“, weil eine bösartige, spaltende Politik nicht zu einer Corona-Welt passt. In der Corona-Krise wurde deutlich, dass diejenigen, die Menschen gegeneinan- der aufhetzen wollen, zu echten Zukunftsfragen nichts beizutragen haben. Wenn es ernst wird, wird das Destruktive deutlich, das im Populismus wohnt. Politik in ihrem Ur-Sinne als Formung gesellschaftlicher Verantwortlichkeiten bekam in dieser Krise eine neue Glaubwürdigkeit, eine neue Legitimität. Gerade weil sie »autoritär« handeln musste, schuf Politik Vertrauen ins Gesellschaftliche. Auch die Wissenschaft hat in der Bewährungskrise eine er- staunliche Renaissance erlebt. Virologen und Epidemiologen wurden zu Medienstars, aber auch „futuristische“ Philosophen, Soziologen, Psychologen, Anthropologen, die vorher eher am Rande der polarisierten Debatten standen, bekamen wieder Stimme und Gewicht. Fake-News hingegen verloren rapide an Marktwert. Auch Verschwörungstheorien wirkten plötzlich wie Ladenhüter, obwohl sie wie saures Bier angeboten wurden. Ein Virus als Evolutionsbeschleuniger Tiefe Krisenweisen obendrein auf einweiteres Grundprinzip desWandels hin: Die Trend-Gegentrend- Synthese. Die neue Welt nach Corona – oder besser mit Corona – entsteht aus der Disruption des Megatrends Konnektivität. Politisch-ökonomisch wird dieses Phänomen auch „Globalisierung“ genannt. Die Unterbrechung der Konnektivität – durch Grenzschließungen, Separationen, Abschottungen, Qua- rantänen – führt aber nicht zu einem Abschaffen der Verbindungen. Sondern zu einer Neuorgani- sation der Konnektome, die unsere Welt zusammenhalten und in die Zukunft tragen. Es kommt zu einem Phasensprung der sozio-ökonomischen Systeme. Die kommende Welt wird Distanz wieder schätzen – und gerade dadurch Verbundenheit qualitati- ver gestalten. Autonomie und Abhängigkeit, Öffnung und Schließung, werden neu ausbalanciert. Dadurch kann die Welt komplexer, zugleich aber auch stabiler werden. Diese Umformung ist weit- gehend ein blinder evolutionärer Prozess – weil das eine scheitert, setzt sich das Neue, überlebens- fähig, durch. Das macht einen zunächst schwindelig, aber dann erweist es seinen inneren Sinn: Zukunftsfähig ist das, was die Paradoxien auf einer neuen Ebene verbindet. Dieser Prozess der Komplexierung – nicht zu verwechseln mit Komplizierung – kann aber auch von Menschen bewusst gestaltet werden. Diejenigen, die das können, die die Sprache der kommen- den Komplexität sprechen, werden die Führer von morgen sein. Die werdenden Hoffnungsträger. Die kommenden Gretas.

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